Andacht zu Lukas 18,31-34
Das Ziel im Visier  (Estomihi), Tag 6

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Lesung:

Lukas 18,31-34

Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespieen werden, und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.

 

Thema:

Die Jünger verstehen Jesus nicht, als er sein Leiden und Auferstehen voraussagt.

 

Auslegung:

Stellen Sie sich vor, jemand überreicht Ihnen ein spanisches Schriftstück. Er behauptet, das sei sehr wichtig für Sie. Sie glauben ihm. Aber Sie können noch nichts damit anfangen, weil Sie kein Spanisch verstehen. Sie müssen warten, bis Ihnen jemand den Text übersetzt.

Den Jüngern kamen die Worte Jesu spanisch vor. Sie wussten einfach nicht, was Jesus damit meinte: überantwortet, verspottet, misshandelt, gefoltert, getötet und auferweckt werden. Sollte das alles wirklich auf Jesus zukommen? Sollte er keine Möglichkeit haben, sich dem zu entziehen oder den Widerstand zu brechen? Sollte dieses Fiasko wirklich von Gott so gewollt und durch die Propheten klar vorausgesagt sein? Die Jünger verstanden die Welt nicht mehr.

Auch uns kommen Gottes Wege oft spanisch vor. Wir sehen einfach keinen Sinn darin. Das geht uns vor allem dann so, wenn Gott in’s Leiden führt oder unsere Pläne und Vorstellungen durchkreuzt. Warum bekommt ein so netter und freundlicher Mann Krebs? Warum darf ein Machtmensch unseren Gemeindepfarrer grundlos mobben und ihm das Leben schwer machen? Warum... - Fallen Ihnen noch mehr Beispiele ein?

Erst viel später sehen die Jünger den Sinn dessen, was Jesus ihnen ankündigt und was auch eintrifft. Der Geist Gottes wird sie lehren. Sie werden verstehen und predigen: Das war der Weg zur Erlösung! Für uns hat Christus gelitten, ist gestorben und auferstanden.

Vielleicht werden auch wir irgendwann besser verstehen, was Gott jetzt vor unseren Augen tut oder zulässt. Vielleicht werden wir einen Sinn darin sehen können und sagen: Das war Gottes guter Weg!

 

Gebet:

Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele, auch durch die Nacht. So nimm den meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich.

 

Impuls:

Wo kommen Ihnen Gottes Wege spanisch vor?

 

 

Hintergrundinformationen:

v     Der Satz „Es wird alles vollendet, was geschrieben steht von dem Menschensohn“ besagt, dass die Leidensgeschichte Jesu ganz klar im Alten Testament vorgezeichnet ist. Dieser Gedanke begegnet auch in der Erzählung von den Emmausjüngern (Lukas 24)  und vom äthiopischen Kämmerer, dem Philippus Jesaja 53 erklärt (Apostelgeschichte 10). Auch die anderen Evangelisten sprechen den offenkundigen Zusammenhang von AT und der Geschichte Jesu immer wieder an.

v     Es existiert die wissenschaftliche Hypothese, dass die drei Leidensankündigungen zuerst von Markus in das Evangelium eingefügt worden seien, um den Knackpunkt der christlichen Botschaft, nämlich die Passion und Auferstehung Jesu literarisch herauszustreichen. Mit dieser These ist oft auch die Unterstellung verknüpft, Jesus habe sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung gar nicht wirklich vorausgesagt, Sondern das alles sei Jesus vom Evangelisten Markus (und auch Lukas und Matthäus) in den Mund gelegt worden. Diese Hypothese wäre nur dann haltbar, wenn die Evangelisten die historische Wirksamkeit Jesu tatsächlich als Mittel zum Zweck christlicher Lehre benutzt hätten, also in ihrer Wertigkeit der eigenen Verkündigungstätigkeit klar untergeordnet hätten. Dieser Annahme aber fehlt jede Grundlage. Denn die Evangelisten hatten größten Respekt vor den geschichtlichen Ereignissen rund um Jesus, wie sie selbst immer wieder erklären. Auf ihnen basierte ja ihr Glaube. Deshalb war es ihr Anliegen, möglichst authentisch wiederzugeben, was geschehen war. Auch das Nicht-Wahrhaben-Wollen des kommende Todes Jesu und das Nicht-Verstehen-Können seiner Ankündigungen in unserem Text ist aus dem Blickwinkel, den die Jünger damals hatten, glaubwürdig und gut nachvollziehbar.

 

Autor dieser Andacht: Robert Augustin