Soll man Kinder religiös erziehen?
Ein Verzicht auf religiöse oder weltanschauliche Erziehung ist
nicht ratsam.
Tragfähige ethische Werte basieren immer auf einer
weltanschaulich-religiösen Grundlage. Jedes Kind saugt Wertvorstellungen
auf, weil es Orientierung sucht. Eltern müssen entscheiden, welche
Religion oder Weltanschauung sie ihrem Kind vermitteln
wollen.
Inhaltsübersicht
1. Werteerziehung, na klar! - religiöse Erziehung,
nein danke!Werteerziehung ist wichtig. Das sagen in der Regel auch diejenigen,
die ihr Kind religiös nicht beeinflussen möchten. Ihr Motto lautet:
"Werteerziehung, na klar! - religiöse Erziehung, nein danke!" Aber
funktioniert das auch? Ich zweifle daran. Denn hinter jedem Wertesystem
steht eine weltanschauliche oder religiöse Einstellung, die es plausibel
macht, mit Sinn erfüllt und trägt. Vier Beispiele:
(1) Wer sich
einem Gott verantwortlich weiß, der den Menschen nach seinem Bilde schuf
(religiöse Überzeugung), für den muss die unantastbare Würde eines jeden
Menschen ein hoher ethischer Wert sein (Wertesystem). Und wenn er seine
weltanschauliche Prägung konsequent lebt, wird sich das spürbar auswirken,
wo immer dieser Mensch einem anderen Menschen begegnet.
(2) Wer
sich dem Humanismus verpflichtet weiß, ohne an Gott zu glauben
(Weltanschauung), wird ebenfalls die Menschenwürde und Verfassungswerte
des Grundgesetzes achten (Wertesystem).1
(3) Wer an
eine Höherentwicklung der menschlichen Rassen im Sinne des
Sozialdarwinismus glaubt (Weltanschauung), für den mag ein ungebremster
Verlauf der Evolution ein wichtiger Wert sein (Wertesystem). Und konkret
mag er bereit sein, an einem Programm teilzunehmen, das Vertreter
minderwertiger Rassen ausrottet, hingegen Vertreter der fortschrittlichen
Rassen begünstigt, wie vor 70 Jahren in Deutschland
geschehen.2
(4) "Lasst uns essen und trinken, denn morgen
sind wir tot." Will sagen: Das Leben ist endlich. Es gibt keine bleibenden
Werte oder Ziele (Weltanschaunng). Deshalb sollte man jeden Augenblick
genießen, so gut es geht (Wertesystem). Die entscheidende Leitfrage ist:
"Was bringt es mir?"
Religion bzw. Weltanschauung und Wertesystem
hängen offensichtlich unmittelbar zusammen. Deswegen werde ich im
Folgenden religiös-weltanschauliche Erziehung und Werteerziehung quasi als
Paket betrachten und nicht mehr differenzieren. Weltanschaulich-religiöse
Erziehung ist das Fundament jeder Werteerziehung.
Zwei
Bemerkungen noch:
(1) Es ist nicht gesagt, dass einem Menschen
bewusst ist, welche Weltanschauung ihn leitet. Ein Anlass, immer wieder
neu nachzudenken!
(2) Es ist nicht gesagt, dass die
Weltanschauung oder Religion, zu der sich jemand mit den Lippen bekennt,
identisch mit der Weltanschaung ist, die sein Handeln prägt.3 Entscheidend sind letztlich die gelebten
Werte, nicht die gepredigten.4 |
2. Vakuum-Effekt: Jedes Kind saugt Wertvorstellungen
aufIst es überhaupt möglich, ein Kind unbeeinflusst von Religion,
Weltanschauung oder Wertesystemen aufzuziehen? Ich denke nein. Vergleichen
Sie ihr Kind mit einem unbeschriebenen Blatt, das Ihnen mit der Geburt
anvertraut wird. Sie haben die Möglichkeit durch Erziehung, auch durch
religiöse, etwas Schönes auf das Blatt zu schreiben. Wenn Sie diese
Möglichkeit nicht wahrnehmen, werden andere das Blatt beschriften, denn
Sie können Ihr Kind nicht im Kinderzimmer einsperren. Über Verwandte,
Freunde, Kindergarten, Schule, Fernsehen und Internet begegnen dem Kind
ständig irgend welche Wertevorstellungen und es wird davon geprägt, ob Sie
das wollen oder nicht. Bildlich gesprochen: Andere beschriften oder
beschmieren das Ihnen anvertraute Blatt. Das kleine Kind entscheidet
nicht, es wird geprägt. Und da das Kind auf plausible und tragfähige
Vorstellungen angewiesen ist, lässt es sich auch gerne "beschriften".
Anders gesagt: Ihr Kind wird religiös erzogen werden, wenn nicht von
Ihnen, dann von anderen. Wollen Sie das?
Und selbst wenn Sie
jetzt anworten: "Ja, das ist mir recht!" - Dann möchte ich Ihnen drei
Beispiele nennen, wozu ein konsequenter Verzicht auf Werteerziehung
seitens der Eltern im Extremfall führen kann:
(1) Wenn das Kind
die Katze mit dem Hammer traktiert, schaut die Mutter schweigend zu. Denn
das Kind entwickelt seine Werte.
(2) Wenn der Teenager sich für
den Satanskult entscheidet und dort Menschenhass und Zerstörungslust
lernt, an blutigen Opfern teilnimmt, Drogen konsumiert und vom
Satansmedium gedemütigt und sexuell missbraucht wird, zieht der tolerante
Vater respektvoll den Hut. Sein Kind hat gewählt.
(3) Wenn der
Jugendliche sich dem Islam in seiner radikalsten Form zuwendet und dort
lernt, Grundwerte wie Religions- und Meinungsfreiheit zu verachten, wenn
er im Namen Allahs auf einen militanten Einsatz vorbereitet wird, dessen
Ziel der Umsturz der westlich-dekadenten Gesellschaft ist, sagt die
liberale Mutter ja dazu.
Würden Sie auch in solchen Situationen
ihr Kind weltanschaulich nicht beeinflussen wollen? |
3. Erziehen, prägen, sich einmischen - aber
wie?Verantwortungsvolle Eltern werden auf die religiös-ethische
Erziehung ihres Kindes weder verzichten können noch verzichten wollen.
Dann aber heißt die Frage nicht mehr: "Will ich mein Kind religiös
erziehen?" sondern: "Wie will ich mein Kind religiös erziehen?" Von
welcher Weltanschauung soll sein Leben geprägt werden? Und welche Werte
ergeben sich daraus? Traue ich dem christlichen Wertegefüge etwas zu, etwa
den Zehn Geboten, der Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott, der
Weisheit der Bibel, der Kraft des Gebetes, dem Gebot Nächstenliebe? Oder
ist ein humanistisches Wertegefüge besser, in dem Grundwerte,
Menschenrechte, Ehrfurcht vor dem Leben und Bewahrung der Schöpfung eine
Rolle spielen, aber ohne Gottesbezug?5
Es wäre interessant an
dieser Stelle darüber nachzudenken, welche weiteren ethischen Alternativen
in unserer heutigen Gesellschaft angeboten und gelebt werden. |
4. Das Kind entscheidet sich später sowieso
selbstNoch ein anderer Gedanke: Ganz gleich, wie ich mein Kind präge:
Spätestens mit der Pubertät wird das Kind auf alle Fälle selbst
entscheiden. Es wird an allem, was die Eltern ihm vermittelt haben,
rütteln, es hinterfragen oder dagegen protestieren. Manches wird es
scheinbar über Bord werfen und einige Jahre später wieder bejahen. Anderes
wird es für immer ablegen. Wieder anderes wird es einfach übernehmen. Das
Kind wird entscheiden.
Zum Abschluss des ersten Teiles noch ein
Plädoyer: Wir sollten uns viel mehr über unsere Wertvorstellungen
austauschen. Wir sollten den eigenen religiös-weltanschaulichen
Hintergrund viel bewusster durchdenken.6 Und wir sollten neugierig nach dem entsprechenden
Hintergrund unserer Mitmenschen fragen. Denn die Werte, die wir heute
leben, bestimmen, in welcher Welt sich unsere Kinder morgen wiederfinden
werden. |
5. Glauben ist wie AtmenEinen ersten Diskussionsbeitrag möchte ich hier gleich einbringen.
Ich bin übrzeugter Christ. Und für mich ist Glauben so etwas wie Atmen:
unverkrampft-natürlich, selbstverständlich, lebensfördernd, befreiend.
Weil ich weiß, dass Gott mein Schöpfer ist, tut es mir gut, mit ihm in
Verbindung zu bleiben und auf ihn zu hören. Wo ich mir etwas vortäusche
und auf Abwege gerate, bin ich darauf angewiesen, dass er mich zurückholt.
Ich lebe von seiner Vergebung und Geduld, die mir in Jesus begegnet. Und
ich erlebe, wie diese Weltanschauung mein Leben lebenswert und wertvoll
macht. Die Nähe Gottes strotzt vor tragfähigen ethischen Werten. An genau
diese üppige Lebensweide möchte ich meine Kinder heranführen. Deshalb
erziehe ich sie christlich. |
1 Auch der Humanismus ist
eine spezifische Weltanschauung und darf deshalb niemals als
weltanschaulich neutral eingestuft werden.
2 Dass heute unter ganz anderen Labels ein ähnliches
Wertesystem wieder aktuell ist, zeigt die gegenwärtige Diskussion rund um
Abtreibung behinderter Kinder und Sterbehilfe bei schwer pflegebedürftigen
Menschen. Hier wird unterschwellig unterschieden zwischen lebenswertem und
nicht lebenswertem menschlichen Dasein. Der australische Forscher Peter
Singer geht dabei so weit, dass er dafür plädiert, bereits geborene
schwerstbehinderte Kinder aus humanitären Gründen töten zu
dürfen.
3 Wenn
jemand z.B. überzeugt ist, dass die Umwelt geschont werden müsse und mit
den Energieressourcen schonend umgegangen werden müsse, selbst aber nach
Brasilien in den Urlaub fliegt, lebt er nicht konsequent seiner
Weltanschauung gemäß.
4 Allerdings muss, bevor Werte gelebt
werden können, erst eine entsprechende Überzeugung reifen. Aus gepredigten
Werten entwickelt sich eine innere Einsicht, die wiederum zu konkretem
Handeln animiert oder wenigstens ein schlechtes Gewissen
hinterlässt.
5 Vermutlich ist eine
Berufung auf die spätere Entscheidung des Kindes für die Religion seiner
Wahl oft auch in diesem Sinne gemeint: "Ich bin dem christlich-kirchlichen
Wertegefüge gegenüber eher skeptisch. Deswegen lasse ich mein Kind nicht
taufen. Ich möchte ihm die Werte vermitteln, die mir wichtig sind (z.B.
Menschenrechte). Und wenn das Kind später in die Kirche eintreten möchte,
soll mir das recht sein." Gegen diese ehrliche Haltung ist nichts
einzuwenden. Es handelt sich dabei aber nicht um einen Verzicht auf
religiöse Werteerziehung.
6 Ob z.B. ein fehlender
Gottesbezug eine fehlende Verbindlichkeit der Werte nach sich ziehen muss,
so dass das Wertesystem in eine utilitaristische Beliebigkeit
abgleitet.